Beitrag erstellt von Claudiu Silvestru
Wer derzeit am Bahnhof Weidling vorbeifährt, erlebt Klosterneuburg in einer seltenen Form architektonischer und städtebaulicher Vorfreude: Tag für Tag zeichnet sich ein konkreteres Bild von einem Gebäude ab, das – wohl oder übel – als künftige Visitenkarte der Stadt herhalten wird – dem neuen Wirtschaftshof. Wie bei einem überdimensionalen Überraschungs-Puzzle bleibt allerdings unklar, welches Bild am Ende erscheint. Die Stadtgemeinde hält die Spannung hoch – und lässt die Bürgerinnen und Bürger rätseln, wie ihr zukünftiges „Servicezentrum“ letztendlich aussehen wird.
Was Baukultur im Sinn der Davos Declaration bedeutet
Die Davos Declaration von 2018 definiert Baukultur als die Gesamtheit aller menschlichen Eingriffe in die gebaute Umwelt — und setzt dabei ausdrücklich Qualität als Maßstab. Qualität wiederum wird in acht Kriterien gefasst: Governance, Funktionalität, Umwelt, Wirtschaft, Vielfalt, Kontext, Schönheit und Identität. Gute Baukultur bedeutet damit nicht nur technisch korrekte oder effiziente Gebäude, sondern ganzheitliche Orte, die sozial eingebettet, verständnisvoll kommuniziert, kulturell bedeutend, ästhetisch ansprechend, ökologisch verantwortungsvoll und funktional überzeugend sind. Sie schafft Räume, mit denen sich Menschen identifizieren können — und die damit langfristig gesellschaftlichen Wert erzeugen. Gerade öffentliche Bauten haben hier eine besondere Verantwortung: Sie sollen nicht nur funktionieren, sondern Gemeinschaft sichtbar machen und Gestalt geben.
Baukultur als Visitenkarte
Der neue Wirtschaftshof in Klosterneuburg entsteht nicht irgendwo am Rand der Stadt. Direkt an der Hauptverbindung nach Wien, entlang der Bahn und Straße, unmittelbar am Bahnhof Weidling gelegen, wird das Gebäude zukünftig den wichtigsten Stadteingang prägen. Alle Menschen, die zwischen Klosterneuburg und Wien unterwegs sind, kommen an diesem Gebäude vorbei. Es soll nicht nur Infrastruktur beherbergen, sondern — so verkündet die Stadtgemeinde selbst auf ihrer Homepage — eine Anlaufstelle für Bürger:innen darstellen: Baudirektion, Baubehörde, Stadtplanung, Tiefbau & Verkehr, Gebührenstelle und der Wirtschaftshof selbst werden “zentral unter einem Dach” zusammengeführt, mit dem Ziel gebündelter Amtswege bei guter Erreichbarkeit mit Öffis, Fahrrad- und PKW. Ebenfalls wird in der offiziellen Beschreibung auf klimafreundliche Technik (Wasser-Wärmepumpe, Photovoltaik, E-Lade-Infrastruktur) verwiesen.
Ein durchaus löblicher Ansatz, der Resonanz in den Kriterien hoher Baukultur findet. Standort und Funktion lassen ein urbanes Statement vermuten – Als städtisches Verwaltungs- und Servicezentrum könnte das Bauwerk die materielle und symbolische Funktion zugleich erfüllen.
Bürgernähe und Service – ja. Aber städtebauliche und gestalterische Kommunikation?
Während der Bau in der offiziellen Beschreibung als Verwaltungszentrum und Zeichen moderner Infrastruktur angekündigt ist, gibt es bislang keinerlei öffentliche Darstellung, Visualisierung oder Debatte über ästhetische, architektonische oder kontextuelle Qualität. Allein die Vogelperspektive weißer, ausdrucksloser Kuben ziert die Bautafel und die Homepage der Stadtgemeinde. Das Gebäude bleibt so in vielerlei Hinsicht eine “Black Box”. Tatsächlich wirkt es geometrisch eher wie ein funktionales Großlager mit dienstlicher Zweckbindung.
Gerade weil dieser Bau so prominent ist — als Eingangstor zur Stadt, als Treffpunkt für Bürgerinnen und Bürger — wäre es nicht nur angemessen, sondern notwendig gewesen, ihn in einem transparenten Prozess zu entwickeln: mit Architekturwettbewerb, Entwürfen, Visualisierungen, öffentlichen Präsentationen, Beteiligung. Doch nichts davon ist erkennbar. Damit entsteht ein Widerspruch: Die Stadt beansprucht für sich Bürgernähe und Serviceorientierung — aber verweigert der Öffentlichkeit jede Mitwirkung oder zumindest Einsicht in den gestalterischen Aspekt eines Bauwerks, das sie aktiv im Alltag und im öffentlichen Raum erfahren soll.
Selektive Baukultur als Ergebnis von Stadtplanung
Es wäre unfair — und falsch — zu behaupten, Klosterneuburg leugne Baukultur insgesamt. Es gibt Beispiele, bei denen die Prozessqualität das Gegenteil zeigt:
- Der HBLA Klosterneuburg-Erweiterungsbau – ebenfalls am Stadteingang gelegen – entstand auf der Basis eines Architekturwettbewerbs in Folge dessen Informationen zum Siegerprojekt öffentlich zugänglich sind.
- Der Campus des ISTA in Maria Gugging zeigt, wie weitsichtige Masterplanung, Architektur und Nutzer:innenorientierung ineinander greifen können.
Diese und andere Projekte demonstrieren, dass in Klosterneuburg durchaus Bauprojekte mit Ästhetik, Qualität und öffentlicher Verantwortung realisiert werden. Umso mehr muss gefragt werden:
Warum kommt diese Baukultur bei einem Projekt der Stadtgemeinde nicht zum Tragen, welches nicht nur funktional wichtig, sondern auch symbolisch zentral für die ganze Stadt ist?
Der neue Wirtschaftshof zeichnet damit ein Bild selektiver Baukultur: Dort, wo Wettbewerbspflicht, Konzernvorgaben oder ein starker Nutzerkontext existieren, werden Prozesse implementiert, die zu hochwertiger Architektur führen sollen. Doch Projekte der eigenen kommunalen Verwaltung — gerade wenn sie im Alltag der Bürger:innen wirken und mit öffentlichen Mitteln realisiert werden — bleiben teilweise und vermehrt hinter dem Anspruch zurück.
Das wirft ein bezeichnendes Licht auf die urbanistische Haltung der Stadt:
- Der Fokus liegt auf Funktionalität, Effizienz, Verwaltung: nicht auf Gestaltung, Identität, Bürgerbeteiligung.
- Der Umgang mit öffentlichem Raum ist technokratisch, nicht gestalterisch-partizipativ.
- Der administrative Anspruch (zentrale Dienststellen, „gebündelte Amtswege“) ist vielmehr ein Weg, Eigenkosten zu reduzieren als ein städtebaulicher oder sozialer Anspruch.
So wird ein Gebäude, das ein sichtbares Zeichen der Stadt sein sollte, zu einem stummen Verwaltungsblock — gebaut für Prozesse, nicht für Gemeinschaft.
Einen Scheideweg erkennen
Der neue Wirtschaftshof ist mehr als ein Verwaltungszentrum: Durch Lage und Funktion repräsentiert er, wie die Stadt Klosterneuburg sich selbst sieht, wie sie mit dem Themenkomplex Stadtentwicklung und Stadtbewirtschaftung umgeht und wie sie wahrgenommen werden will. Ein solches Projekt verdient dementsprechend nicht nur technische Standards — es verdient architektonische Sorgfalt, öffentliche Debatte und ästhetische Verantwortung.
Ein Baustopp wäre in dieser Phase wahrscheinlich unzumutbar und finanzpolitisch unverantwortlich – öffentliche Gelder wurden bereits in beträchtlichem Umfang investiert, Verträge sind geschlossen, der Rohbau steht. Doch gerade weil der Bau nun im Entstehen begriffen ist, muss die Stadt JETZT einen Prozess einleiten, der aus dem bloßen Gerüst ein städtisches Zeichen macht.
Wenn die Konstruktion nicht mehr grundlegend veränderbar ist, bleibt dennoch Gestaltungsspielraum – hier einiger Diskussionsansätze:
- Identitätsstiftende Fassadengestaltung, die dem prominenten Standort gerecht wird – am Eingang zur Stadt, entlang der zentralen Verkehrsachse, direkt am Bahnhof.
- Kunst am Bau, um das Gebäude visuell zu verankern und ihm eine kulturelle Dimension zu geben.
- Multifunktionale Begegnungsräume und Mehrzweckräume, die den Ort für Bürger:innen tatsächlich erlebbar machen, statt ihn als reine Funktionsmaschine zu behandeln.
- Transparente Kommunikation, die das Überraschungsei endlich öffnet und der Bevölkerung vermittelt, welches Bild der Wirtschaftshof künftig abgeben soll.
Ein solcher Prozess ist keine kosmetische Nachbesserung, sondern eine baukulturelle Pflicht, wenn ein öffentlich finanziertes Gebäude zentrale Funktionen für Bürger:innen übernimmt und gleichzeitig als städtisches Aushängeschild dient.
Der neue Wirtschaftshof ist ein Prüfstein. Die Chance ist noch da. Die Verantwortung ebenso. Wenn Klosterneuburg aus diesem Bau ein Stück echte, sichtbare, erfahrbare Baukultur macht, könnte dies zum gelungenen Wendepunkt werden. Wenn nicht, dann bleibt der Bau am Stadteingang ein Mahnmal dafür, dass die größte Überraschung jene war, die niemand wollte.