Glaubenssätze hinterfragen und kleine Brötchen backen

Mit pointierten Diskussionsbeiträgen und spannenden Einblicken in gelebte Beteiligungsprojekte gestaltete sich der Diskussionsabend zum Thema „Bürger:innenbeteiligung – wie geht’s wirklich?“, zu dem die PUK am Dienstag, dem 18.6.2024 ins SHIFT am Rathausplatz 8 eingeladen hatte, recht lebendig, teilweise kontroversiell, auf jeden Fall für alle sehr anregend.

Als Gäste geladen waren (Ex)Klimarat Walter Hutterer (https://klimarat.org), nunmehr Aktivist im Verein Klimarat (https://klimarat-verein.at/) und Barbara Strauch, Expertin in Sachen Soziokratie (www.soziokratiezentrum.org). Thomas Kehrer und die weitere engagierte Klosterneuburger:innen brachten ihre Erfahrungen mit tatsächlichen oder so bezeichneten Beteiligungsprojekten in Klosterneuburg ein. Die Moderator:innen des Abends, GR Elisabeth Beer und GR Ulrike Kobrna stellten ein Arbeitspapier zur Bürger:innenbeteiligung vor.

Hier ein paar Blitzlichter aus der lebendigen Diskussion, die auch noch nach dem offiziellen Ende bei Getränken und Snacks angeregt weitergeführt wurde.  – Was braucht echte Bürger:innenbeteilung unbedingt:

  • Kompetente/professionelle Moderation: auch wenn Politiker:innen bzw Verwaltungsbeamt:innen oft sehr engagiert sind, ist eine professionelle Person unumgänglich
  • Expert:Innen, die den Beteiligungsprozess inhaltlich begleiten, z.B. mittels soziokratischer Methoden
  • Rückmeldungen an Teilnehmer:innen, was mit ihren Vorschlägen nach Dialogveranstaltungen etc. auch wirklich passiert … keine Rückmeldungen seitens der Entscheidungsträger:innen frustriert die Bürger:innen
  • Verbindlicher Rahmen für Beteiligungsprozesse! Es sollte am Anfang von jedem Beteiligungsprozess klar vereinbart sein, wie dieser abläuft, was mit den Vorschlägen passiert, ob und wieviel Macht die Entscheidungsträger:innen an die Bürgerschaft abgeben
  • Konsensuale Prozesse bei der Erarbeitung von Lösungen: Kompromisse suchen, mit den Alle leben können
  • Kommunikation mit allen! Das bedeutet auch die Überwindung, mit Andersdenkenden ins Gespräch zu kommen und eigene Glaubenssätze über Bord zu werfen, die dies verhindern
  • Budget/Ressoursen für Bürger:innenbeteiligungsprozesse müssen vorhanden sein
  • Wie können wir jene Personen abholen, die keinen Zugang zu basisdemokratischen Prozessen finden?

Für die Zukunft von Bürgerbeteiligungsprozessen in Klosterneuburg fasst Stadtrat Stefan Hehberger zusammen: „Vielleicht fangen wir einmal damit an, ‚kleine Brötchen zu backen!‘ “, soll heißen, mit einem kleinen Projekt starten, Erfahrungen sammeln, Menschen begeistern und die Verwaltung und die Politik ins Boot holen. So könnten die eher gemischten Erinnerungen an bisherige Beteiligungsprozesse in unserer Stadt (Pionierviertel, STEK 2030+) von neuen, positiveren Erfahrungen abgelöst werden. Die PUK Gemeinderät:innen werden sich auf jeden Fall weiterhin für mehr Einbeziehung der Bevölkerung in Entscheidungsprozesse einsetzen.

Wer mehr lesen möchte, findet untenstehend noch einen ausführlicheren Bericht zur Veranstaltung, in dem auch auf die Methode der Soziokratie näher eingegangen wird. Siehe dazu auch die Publikation von Barbara Strauch „Soziokratie. Organisationsstrukturen zur Stärkung von Beteiligung und Mitverantwortung des Einzelnen in Unternehmen, Politik und Gesellschaft“ bzw. den aktuellen Schwerpunkt des Soziokratiezentrums zur Frage: „Soziokratie in der Gemeinde – geht das?

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Bürger:innenbeteiligung – wie geht’s wirklich

Bericht zum Diskussionsabend am 18.6.2024 im SHIFT am Rathausplatz 8

Mit pointierten Diskussionsbeiträgen und spannenden Einblicken in gelebte Beteiligungsprojekte gestaltete sich der Diskussionsabend zum Thema „Bürger:innenbeteiligung – wie geht’s wirklich?“, zu dem die PUK am Dienstag, dem 18.6.2024 ins SHIFT am Rathausplatz eingeladen hatte, recht lebendig, teilweise kontroversiell, auf jeden Fall für alle sehr anregend.

Als Gast geladen hatten wir u .a. Walter Hutterer, der per Zufallsprinzip in den aus 100 Mitgliedern bestehenden „Klimarat Österreich“ (https://klimarat.org) erkoren worden war. Nachdem der Klimarat 2022 nach 2 Jahren gemeinsamer Arbeit und der Lieferung des vorgesehenen Ergebnisses in Form eines akkordierten Maßnahmenkatalogs feststellte: „Das kann es jetzt aber nicht gewesen sein!“, gründete fast die Hälfte der Mitglieder den Klimarat-Verein (https://klimarat-verein.at), der sich ehrenamtlich in den Dienst des Klimaschutzes stellt, und z.B. auf Diskussionsveranstaltungen wir dieser auftritt. Einer mahnende Funktion haben sich die (Ex)Klimarät:innen auch verschrieben: Sie demonstrierten zum Jahrestag der Übergabe ihrer Maßnahmen vor dem Parlament und machten auf die Untätigkeit in Bezug auf die Umsetzung der 93 Maßnahmen aufmerksam … Die,  nach dem Klimavolksbegehren 2022 ins Leben gerufene, temporär angesetzte Institution hat sich also selbstständig gemacht und ist so zum nachhaltigen Klima-Gewissen der Nation geworden. Wenn das nicht ein Paradebeispiel für Bürger:innenbeteiligung ist …

Walter Hutterer meint rückblickend zur Atmosphäre im Klimarat: „Es war beglückend, das Ringen um Entscheidungen mitzuerleben, wenn alle wirklich ernstgenommen werden und jeder Einwand berücksichtigt wird.“ Wie konnte in einem so „zusammengewürfelten“ Gremium eine so harmonische Zusammenarbeit erreicht werden?  Das Zaubermittel heißt „Soziokratie“ – „Soziokra… – was bitte?“ denken sich vielleicht jetzt einige, andere haben davon schon gehört, wissen aber nicht so recht, was sie davon halten sollen; wiederum andere sind in Projekte involviert, die soziokratisch organisiert sind und sind begeistert.

In Sachen Soziokratie ist Barbara Strauch, unsere zweite Gästin, die angesagte Expertin in Österreich. (www.soziokratiezentrum.org). Sie brachte Aspekte der Soziokratie ein und legte dar, wie dadurch Partizipation von Menschen an Prozessen und im politischen Geschehen gestärkt bzw. überhaupt erst ermöglicht werden kann. Es gilt, eingefleischte „Glaubenssätze“ zu hinterfragen und aufzugeben, z.B. dass man mit „den anderen“ (also mit denen, die eine andere Meinung vertreten oder gegensätzlichen politischen Ideologien anhängen) absolut nicht reden könne.

Und, dass Beteiligungsprozesse nur funktionieren können, wenn diejenigen, die die Entscheidungshoheit über ein Thema haben, so einen Prozess auch tatsächlich zulassen, also quasi Macht abgeben. Bei diesem Thema wurde kontroversiell diskutiert, wie man die „Mächtigen“ dazu bewegen könne, zunächst „Macht abzugeben“ (top-down-Prozess) und gleichzeitig darauf zu vertrauen, dass aus einem Beteiligungsgeschehen (bottom-up-Prozess) gute und umsetzbare Lösungen gefunden werden können. Auf lokalpolitische und betriebsrätliche Erfahrungen zurückgreifend, pochten einige Teilnehmer massiv auf die Wirksamkeit von aktionistischen, Druck aufbauenden Methoden – anders könne es nicht gehen. Darauf die Antwort von Barbara Strauch lakonisch: „Weil wir in diesem System noch keine andere Erfahrung machen konnten.“ Womit wir wieder beim Klimarat wären, bei dem genau diese Erfahrungen ermöglicht worden sind.

Was ist denn jetzt diese „Soziokratie“ wirklich und was ist da so anders? – Soziokratische Moderation, Entscheidungsfindung und Organisationsführung basiert auf einigen wenigen, aber dafür sehr klar definierten Prinzipien.

  • Alle werden gehört – damit sich nicht nur die „Lauten“ in den Vordergrund drängen, wird im Kreis gesprochen, alle sollen ihre Anliegen darlegen können.
  • Entscheidungen beruhen auf dem „Konsent“ – Es wird nicht nach Mehrheiten gefragt, sondern danach, welche Lösung/Entscheidung auf die wenigsten Einwände stößt.
  • Damit man zu diesen konsent-fähigen Lösungsansätzen kommt, wird in Meinungsbildungsrunden solange zugehört, bis alle Argumente am Tisch liegen und gegenseitiges Verständnis (nicht unbedingt Zustimmung!) hergestellt werden konnte.
  • Solange gegen einen Vorschlag ein „schwerer Einwand“ vorgebracht wird, wird die Entscheidung nicht gefällt. Der „schwere Einwand“ muss jedoch sachlich begründet werden. Das bietet tatsächlich die Chance, noch nicht entsprechend gewürdigte Aspekte einer Diskussion (nochmals) aufs Tablett zu bringen; oder aber sie – ebenfalls sachlich – zu entkräftigen.

Dieser Prozess klingt langwierig; und das ist es auch. Jedoch berichten alle, die schon einmal in einer soziokratischen Struktur (mit professioneller Moderation!) an Entscheidungsfindung teilgenommen haben,

  • dass diese Vorgehensweise extrem vertrauensbildend ist,
  • dass gegenseitige Verständnis hergestellt wird,
  • dass die übliche Hektik von Diskussionsprozessen nicht aufkommt, weil garantiert jede Person zu Wort kommt und nichts untergeht,
  • dass gegen Schluss eigentlich die Entscheidung sehr leicht gefällt werden kann, und dann hinter der gefundenen Lösung wirklich alle stehen (was wesentlich für die Etablierung und Nachhaltigkeit ist).
  • Für diejenigen, die auf Ökonomie achten: letztlich sind Entscheidungen, die auf dieser Basis getroffen werden, auch kostengünstiger. Sie dauern in der Entstehung zwar länger, halten dann aber stabiler – Proteste dagegen und Unterwanderung/Boykottierung sind kaum zu erwarten.

Nach diesem kleinen Ausflug in die Soziokratie zurück zur Veranstaltung „Bürger:innenbeteiligung“: Letztlich stand auch die Frage im Raum, ob Soziokratie auch auf Gemeindeebene funktionieren könne. Barbara Strauch beschäftigt sich im Soziokratiezentrum aktuell mit der Frage, ob und wie Soziokratie auch in der Gemeinde, oder sogar konkret im Gemeinderat, funktionieren kann (https://soziokratiezentrum.org/events/soziokratie-in-der-gemeinde-geht-das).

Es war spürbar, dass diese Idee bei einigen im Publikum durchaus etwas bewirkt hat. Zumal auch der Aspekt der Politikverdrossenheit und das Ausgeschlossensein von bestimmten Bevölkerungsgruppen von demokratischen Prozessen angesprochen wurde. Laut einer SORA-Studie (nunmehr „foresight“) erreicht die Wahlbeteiligung von ca. 1/3 der österreichischen Bevölkerung knapp eine 2-stellige Prozentzahl. Auch in Klosterneuburg hört man immer wieder Stimmen von „Zugezogenen“, dass es schwer für sie ist, sich hier angeommen und willkommen zu fühlen! Und das sind immerhin 20% (!) der in Klosterneuburg gemeldeten Personen, die in einem anderen Land als Österreich geboren wurden!

Für die Zukunft von Bürgerbeteiligungsprozessen in Klosterneuburg fasst Stadtrat Stefan Hehberger zusammen: „Vielleicht fangen wir einmal damit an, ‚kleine Brötchen zu backen’“, soll heißen, mit einem kleinen Projekt starten, Erfahrungen sammeln, Menschen begeistern und die Verwaltung und die Politik ins Boot zu holen. So könnten die eher gemischten Erinnerungen an bisherige Beteiligungsprozesse in unserer Stadt (Pionierviertel, STEK 2030+) von neuen, positiveren Erfahrungen abgelöst werden. Die PUK Gemeinderät:innen werden sich auf jeden Fall weiterhin für mehr Einbeziehung der Bevölkerung in Entscheidungsprozesse einsetzen.

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